Sie ist Erotikmodel, Geschäftsfrau, DJane – und seit Kurzem CDU-Mitglied: Micaela Schäfer liebt die Provokation mit ihrem sich ständig wandelnden Äußeren. Politisch tickt sie konservativ, hört sich an wie Merz oder Söder. Begegnung mit einer Selfmade-Frau.
D
a in Charlottenburg-Wilmersdorf zeltet eine Obdachlose in der Bushaltestelle. Und ein paar Hundert Meter weiter sichern meterhohe Zäune, Stacheldraht und Polizisten die jüdische Gemeinde. Ein Mann raucht davor einen Joint. Und in der Nähe öffnet das Neu-CDU-Mitglied Micaela Schäfer die Tür zu ihrer Berliner Eigentumswohnung.
Die Wohnung, das fällt sofort auf, ist besser eingerichtet als die von Durchschnittsdeutschen, die Skechers-Schuhe von Michael Ballack und XXXLutz-Möbelschränke von Matthias Schweighöfer daheim haben. Der Stil ist eine Mischung aus Ethno-Chic und Neumillionärin. In der offenen Wohnküche ist ein Weinkühlschrank. Aber weil Schäfer so gut wie nie trinkt, ist da nur eine einzige Flasche Wein drin.
Die 40-Jährige sagt gleich zu Anfang: „Seit ich 18 Jahre alt bin, wähle ich CDU. Ich habe mich auf das Wählen-gehen-Dürfen gefreut wie andere auf den Führerschein.“ Sie sagt, Angela Merkel sei eine Ikone. „Die ganze Welt hat Respekt vor ihr gehabt. Ich wollte mir auch mal ein riesiges Merkel-Porträt auf den Rücken tätowieren lassen.“ Und dann sagt sie: „Aber jetzt, wo ich in die CDU eingetreten bin, habe ich andauernd Angst, wieder rausgeworfen zu werden.“ Sie meint, wegen ihres Berufs.
Micaela Schäfer ist das, was man vor 30 Jahren wohl „Busenwunder“ genannt hat. Heute kann man ihr Berufsbild diversifiziert als DJane, Erotikmodel, It-Girl und Reality-TV-Star zusammenfassen.
Jedenfalls ist die Sorge aus ihrer eigenen Erfahrung heraus verständlich. 2004 verließ sie der damals junge CDU-Politiker Sebastian Czaja. Heute ist Czaja im Bundesvorstand der FDP. Der „B.Z. am Sonntag“ sagte er 2004 über die Trennung von Schäfer: „Mir reicht’s. Denn so, wie Micaela sich jetzt zeigt, ist sie nicht die Frau, die ich liebte.“
Czaja war damals ein Mann von vielen, die Angst hatten vor einer selbstbestimmten Frau. Schäfer sagt heute: „Mich hat es damals sehr verletzt und traurig gemacht, von meinem Freund verlassen zu werden, damit er Politik machen kann. Ich habe doch nichts Illegales gemacht.“ Sie meint, der Druck, sie zu verlassen, sei aus der CDU gekommen.
Dabei war die Union schon immer erotikaffin. Die spätere langjährige CSU-Bundestagsabgeordnete Dagmar Wöhrl wurde vor ihrer Politikkarriere durch die Sexkomödie „Die Stoßburg – Wenn nachts die Keuschheitsgürtel klappern“ bekannt. Trotz seines konservativen Rufes war Bayern schon immer progressiver als Berlin. Und es gibt ja tatsächlich nichts Bürgerlicheres und Mündigeres, als Intellekt und Körper zu nutzen, um eigenen Wohlstand zu schaffen. Wo unterscheiden sich Erotikdarstellerinnen von Spitzensportlern, Models oder Künstlern wie Marina Abramović und Jeff Koons?
Letztendlich ist Micaela Schäfer Unternehmerin. Das Produkt, das sie herstellt, vermarktet und verkauft, ist sie selbst. Sie verändert es permanent: neue Lippen, neue Brüste, gerade trägt sie zu Kussmündern operierte Brustwarzen, davor waren es Herzen.
Sie sagt: „Ein Sänger bringt ein neues Album heraus, eine Schauspielerin einen neuen Film, Oliver Pocher macht neue Witze, und ich lasse mir neue Brustwarzen machen. Es ist eine Provokation. Es ist ein Gag für mich. Die Leute verstehen das aber oft nicht.“ Seit einiger Zeit, sagt sie, denke sie über eine dritte Brust nach. Nur den passenden Chirurgen habe sie noch nicht gefunden.
„Klar könnte ich rumheulen. Mache ich nicht“
Schäfer ist eine reflektierte Selfmade-Frau. Aufgewachsen in Ost-Berliner Platten in Marzahn-Hellersdorf, ist sie durch „Germany’s Next Topmodel“ und das „Dschungelcamp“ gegangen, um da zu sein, wo sie jetzt ist. In ihrer Eigentumswohnung, als Besitzerin mehrerer Immobilien, verdient mit ihrem eigenen Geld. „Ich habe in meiner Kindheit und Jugend jeden Tag Nazi-Skinheads gesehen“, erinnert sie sich, „mein Vater ist Brasilianer, ich hatte dunkle Haare, dunkle Augen. Die haben schon gesehen, ich bin keine reine Deutsche. Ich hatte immer Angst, solange ich dort gewohnt habe.“
Die logische zeitgeistige Konsequenz wäre jetzt, sich als Summe ihrer Ängste und Diskriminierungen zu begreifen. Schäfer sagt aber: „Dieses ganze Feminismus-Ding und Frauenquoten finde ich anstrengend. Ich habe durch Disziplin und Arbeit das erreicht, was ich erreicht habe. Klar könnte ich rumheulen, wann und wo ich ungerecht behandelt wurde. Aber mache ich eben nicht.“ In Fragen von Quoten ist sie also konservativer als die derzeitige CDU: Die hat sich 2023 unter Parteichef Friedrich Merz für eine Frauenquote entschieden.
Ansonsten ist Schäfer eindeutig Unions-Mainstream: „Ein großes Problem der derzeitigen Regierung ist, dass sie die Faulen belohnt und die Fleißigen bestraft. Ich finde wichtig, Schwachen zu helfen. Ich war in meinem Leben einmal zwei Monate arbeitslos. Und ich wollte da sofort raus. Ich habe mich geschämt. Aber als Dauerzustand gut damit leben, das geht doch nicht“, sagt sie in einem Sound, der man ansonsten von Leuten wie Merz, seinem Generalsekretär Carsten Linnemann oder Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kennt. „Der deutsche Staat mag offenbar keine Menschen, die Wohlstand erzeugen.“
Die Cannabis-Legalisierung findet sie auch falsch. „Der Staat muss uns vor solchen Substanzen schützen. Wir Erwachsenen müssen Vorbilder sein. Und das sind wir doch nicht, wenn wir jetzt alle kiffen.“
Zur Migrationspolitik sagt sie: „Die Flüchtlingskrise habe ich als beschämend für Deutschland wahrgenommen. Der Fremdenhass, der Aufstieg der AfD, das macht mich ratlos. Wir sind ein reiches Land. Wir können helfen. Gleichzeitig aber müssen wir natürlich straffällig gewordene Flüchtlinge sofort abschieben. Da ist bis heute zu wenig passiert. Und wir müssen auch wirklich prüfen, wer in unser Land kommt.“
Ein Prostitutionsverbot, wie es jetzt Dorothee Bär von der CSU voranbringen möchte, sieht Schäfer kritisch. „Es löst kein Grundproblem. Und ich trete ja oft als DJane in Bordellen auf. Das sind aber sauber geführte Läden. Dort gibt es keinen Zwang, keine Kriminalität. Natürlich lieben nicht alle Mädels ihren Beruf. Aber das tun Büroangestellte auch nicht.“ Zwangsprostitution findet sie natürlich falsch. Aber an deren schon geltender Strafbarkeit würde auch ein allgemeines Prostitutionsverbot nichts ändern.
„Söder wirkt sehr entspannt auf mich“
Politikerin will die Christdemokratin nicht werden. „Politiker-Gattin könnte ich mir aber gut vorstellen“, sagt sie. Und dann: „Friedrich Merz oder Markus Söder sind sehr gut. Söder wirkt sehr entspannt auf mich. Ich glaube, das ist eine coole Socke, der sich auch nicht schämt, einer Frau mal ins Dekolleté zu schauen. Und Christian Lindner finde ich sehr attraktiv.“
Vor einer Woche war sie zu einer Auftaktveranstaltung der CDU eingeladen. Nur Zeit hatte sie nicht, sagt Schäfer: Sie musste Fotos und Videos für OnlyFans produzieren.
Und dann machen wir Fotos. Schäfer, die die ganze Zeit Sneaker-Socken getragen hat, zieht die Socken aus. High Heels liegen neben dem Sofa bereit. Ob sie die anziehen solle, fragt sie. „Nein, nein“, sage ich, „kennen Sie Caravaggio? Der war bekannt für seine gemalten Füße.“ Das berühmteste Fußbild Caravaggios ist die „Rosenkranzmadonna“, die im Kunsthistorischen Museum in Wien zu sehen ist. In der Berliner Gemäldegalerie hängt „Amor als Sieger“ von Caravaggio.
Ich meine das gar nicht Fußfetisch-mäßig, sondern eher andersherum: Erotikmodels und erfolgreiche Business-Frauen sollen ja in der männlich fetischisierten Welt immer High Heels tragen. Und deswegen, finde ich, sollte man die weglassen. Und das macht sie dann auch.
Und war Micaela Schäfer während des gesamten Gesprächs trotz ihrer artifiziellen Erscheinung, den Haupthaar- und Wimpern-Extensions, den aufgespritzten Lippen und alledem eine gänzlich natürliche Person, so wird sie jetzt zum Avatar ihrer selbst, wie aus dem Internet ausgedruckt. Jetzt ist sie Skulptur. Ihr Blick, ihr Gesicht, ihre Körperspannung werden eine andere. Die Frau wird in diesem Moment zu ihrem Werk.
Und wie ich durch die Kamera schaue, sehe ich für einen kurzen Augenblick Lana Del Rey, ich sehe den American Dream. Und ich höre „There‘s a tunnel under Ocean Boulevard/ Don‘t forget me“ in meinem Ohr.
Und als ich die Wohnung verlasse und durch die Straßen von West-Berlin gehe, sehe ich wieder die Polizisten, den Stacheldraht und die Obdachlose in ihrem Zelt. Und ich steige in ein Taxi und fahre zum Bahnhof. Und da essen sie Cheeseburger in Anzügen, in Kleidern, mit Sauce auf den Fingern und Kondensperlen auf den rot-weiß gestreiften Strohhalmen. Und ich denke an das Wort: Volkspartei.