„Ich bin abgestürzt“

„Ich bin abgestürzt“

Stargründer Christian Reber

Christian Reber verkaufte sein erstes Start-up und die App Wunderlist für 200 Millionen Dollar an Microsoft, seine nächste Firma Pitch war schon eine halbe Milliarde wert. Dann stürzte der Gründer ab. Jetzt spricht er über sein Scheitern – und die toxische Start-up-Kultur.

„Kompletter Nonsens“: Gründer Christian Reber über die Hustlekultur der Start-up-Szene, das Arbeiten weit über die Belastungsgrenze hinaus

Tagesspiegel / IMAGO

Für Christian Reber (37) schien lange alles zu klappen. Gleich nach der Uni startete Reber, der 2006 für ein International-Management-Studium nach Berlin gezogen war, sein erstes Unternehmen und gründete schon 2010 die App, die ihn zum Star der Szene machen sollte: Wunderlist. Nur fünf Jahre später kaufte Microsoft sein Start-up – für 200 Millionen Dollar.

Mit seiner zweiten Firma griff Reber Microsoft gleich frontal an: Er startete einen Powerpoint-Konkurrenten namens Pitch . Und es dauerte nicht lange, bis einige der renommiertesten Investoren sie mit einer halben Milliarde Dollar bewerteten. Doch dann kippte der Markt, die Firma wuchs langsamer als geplant und Reber entließ im Januar 2024 zwei Drittel seiner Angestellten. Er trennte sich auch von seinem Gesellschafter Tiger Global, einem Hedgefonds, der 2021 Start-up-Bewertungen weltweit ins Aberwitzige getrieben hatte.

Reber fiel auch persönlich tief. Seinen CEO-Posten gab er auf. Im Interview mit dem manager magazin – man duzt sich, wie in der Start-up-Szene üblich – spricht er offen darüber, wie er mit seinem Burn-out umgegangen ist, wieso die Start-up-Szene auch toxisch sein kann, was die Probleme bei Pitch waren und wie es jetzt weitergehen soll.

manager magazin: Christian, du bist Anfang dieses Jahres bei Pitch als CEO zurückgetreten. Was ist passiert?

Christian Reber: Eine ganze Menge. Ende 2022 bin ich abgestürzt mit Burn-out. Im Herbst ging es los mit leichten Panikattacken. Dann kam die Schlaflosigkeit und schließlich saß ich am Esstisch mit meinen Kindern und konnte sie nicht mehr sprechen hören, weil ich so überstimuliert war. Da habe ich mich entschieden, stationär in eine Klinik im Harz zu gehen.

Kannst du sagen, woher die Erschöpfung kam?

Ich war wirklich müde nach sechs Jahren Start-up. Und ich habe gemerkt, dass ich dieses People Management einfach nicht mehr richtig kann. Ich bin schon immer sehr produktorientiert gewesen und liebe es immer noch, Produkte aus dem Nichts zu erschaffen und große Visionen auszuspinnen. Aber so eine Firma aufzubauen und auf zwischenzeitlich knapp 200 Mitarbeiter zu skalieren, ist wahnsinnig viel Druck von allen Seiten und wahnsinnig viel Stress. An einem Punkt habe ich realisiert, dass die Großeltern meine Kinder mehr sehen als ich. Irgendwann sind sie dann groß, man hat viel verpasst und bereut das.

Das gab also den Ausschlag zum Rücktritt?

Ja, und was mir auch geholfen hat, ist, dass ich etwa von Jürgen Klopp gesehen habe, wie er seinen Rücktritt angekündigte und einfach sagte: Ich habe nicht mehr die Energie, ich will langfristig raus, wir brauchen jemand anderes. Die neuseeländische Ministerpräsidentin Jacinda Ardern hat ihren Abtritt aus solchen Gründen ebenfalls sehr stilvoll und offen kommuniziert. Ich habe für mich selbst erkannt, dass ich den Schritt viel früher hätte gehen müssen. Wunderlist, mein erstes Start-up, war für mich schon sehr anstrengend. Und da hatte ich nicht mit so vielen Krisen zu kämpfen wie dieses Mal: mit Pandemie, Kriegen oder Marktzusammenbrüchen.

Wie haben die Investoren reagiert, als du erklärt hast, dass du nicht weitermachen willst?

Sehr gut. Da war nicht ein Einziger, der die Entscheidung nicht nachvollziehen konnte.

Investoren pushen ihre Gründerinnen und Gründer aber auch oft ans Limit. In der Branche gilt Hyperwachstum häufig als alternativlos, um die Billion-Dollar-Company bauen zu können. Dadurch entsteht schon per se ein Megadruck.

Diese Hustlekultur, die wir immer promoten bei uns in der Start-up-Szene – also, dass man eigentlich 24/7 arbeiten muss, in der Factory schlafen muss – das ist kompletter Nonsens. Das macht null Sinn. Ich denke auch, dass sich die Kultur so hält, weil nach wie vor viele Start-ups von Männern gegründet werden und viele Investoren Männer sind . Und Männer haben meiner Meinung nach deutlich weniger Selbstreflexion. Sie kennen nichts außer „bam, bam, bam, let’s go, wachse um jeden Preis!“. Da fehlt oft die Sensibilität dafür, dass man eine Balance finden sollte aus Ambition, Wachstum, aber auch Nachhaltigkeit.

Gerade verlassen viele Gründerinnen und Gründer ihre Unternehmen, was in den guten Zeiten des Markts kaum vorkam. Liegt das auch an dem Umschwung?

Einige haben mich tatsächlich nach meinem LinkedIn-Post zur Umstrukturierung bei Pitch kontaktiert. Und man kann sehen, dass manche desillusioniert sind, weil sie eigentlich etwas Positives bewegen wollten, ihr Geschäft aber eingekracht ist und sie jetzt den Sinn ihrer Arbeit hinterfragen. Der Ablauf war ja oft so: Die Gründer hatten eine Idee, sammeln Kapital ein, dann kommen zig Konkurrenten hinterher und es heißt, man müsse bei dem Wettbewerbsdruck jetzt besonders schnell unterwegs sein. Und dann macht man plötzlich Sachen, die man nie wollte und die nicht nachhaltig sind.

Wie hast du nach deiner Zeit in der Klinik weitergemacht?

Ich bin langsam in die Arbeitswelt zurückgekehrt und habe dann klar an unsere Investoren kommuniziert, dass ich zwar weiter mitarbeiten und dem Unternehmen helfen will, aber nicht mehr Geschäftsführer von Pitch sein möchte und es jetzt jemand anderen braucht.

Übernommen hat diesen Januar Adam Renklint, Mitgründer und vorher Technologiechef. Er führt jetzt ein zusammengestrichenes Pitch. Was steckt hinter dem Turnaround?

2021 hatten wir die große Finanzierungsrunde mit den Investoren Tiger Global und Lakestar abgeschlossen, auf Basis einer recht utopischen Bewertung von rund einer halben Milliarde Dollar, obwohl wir damals kaum Umsatz erzielten: 200.000 Euro jährlich wiederkehrende Einnahmen. So wurden Start-ups wie unseres damals bewertet, die Investoren glaubten an uns und wir hatten einen guten Kundenzulauf. In eine solche Bewertung ist ein enormes Wachstum eingepreist, und wir haben dann, zwei Jahre nach der Finanzierungsrunde, gemerkt, dass unser Wachstum nicht schnell genug ist. Wir waren außerdem noch weit von der Profitabilität entfernt und mussten uns als Gründer essenzielle Fragen stellen: Wie viel Kapital haben wir noch? Wie lange können wir damit klarkommen?

Und das Geld war knapp?

Nein. Für rund fünf Jahre hätten wir noch genug gehabt. Aber wir haben realisiert, dass wir jetzt in einem ganz anderen Marktumfeld unterwegs sind. 2020 und 2021 wurden Software-as-a-Service-Firmen wie Pitch mit dem bis zu Hundertfachen ihres Umsatzes bewertet. Mittlerweile im Durchschnitt nur noch mit dem Sechsfachen.

Damit wäre Pitch weit entfernt von der 500-Millionen-Dollar-Bewertung, die ihr im Mai 2021 aufgerufen hattet.

Ja, in dem aktuellen Umfeld würde die Bewertung bei einem 10-Millionen-Euro-Umsatz nicht mehr Richtung Milliarde gehen, sondern nur noch bei 60 Millionen Euro liegen. Also hätten wir bei einer neuen Finanzierungsrunde oder einem Verkauf eine Megaabwertung hinnehmen müssen. Das hätte unsere Anteile am Unternehmen total verwässert. Dazu kommt, dass wir eine Liquidation Preference von 130 Millionen Euro drin hatten …

… bei einem Verkauf der Firma würden also die Investoren vor allen anderen 130 Millionen Euro aus dem Erlös bekommen. Erst dann sieht das Gründerteam Geld.

Da haben wir reine Mathematik gemacht: Wenn wir die Firma verkaufen sollten, bleibt für uns eigentlich nichts mehr hängen. Also arbeiten wir quasi nur noch für unser Gehalt. Wir wussten aber auch nicht, wie wir das lösen sollten. Und dann ist eine interessante Sache passiert.

Nämlich?

Unser Investor Tiger Global ist auf uns zugekommen. Er hatte das Mandat von den eigenen Fondsinvestoren bekommen, Geld aus den Firmen zurückzuholen, bei denen sie glauben, dass sie zu hohen Bewertungen eingestiegen sind. Tiger machte also das Angebot: Zahlt uns das Kapital anteilig zurück und ihr bekommt die Company wieder. Und dieser Moment hat eigentlich den ganzen Prozess ausgelöst und uns den Weg aus der Mausefalle gezeigt, wie wir die Liquidation Preference loswerden und Pitch profitabel kriegen können.

Wie sah der Weg aus?

Wir haben vergangenen Sommer angefangen, mit unseren weiteren Gesellschaftern Thrive, Index, BlueYard und Lakestar die Optionen zu diskutieren. Geeinigt haben wir uns darauf, dass wir rund 40 Millionen Euro Kapital zurückzahlen – und 6 Millionen Euro in der Firma behalten. Die Liquidationspräferenz reduziert sich dadurch von den rund 130 Millionen auf eben 6 Millionen Euro.

Das heißt, dass für euch Gründer jeder Verkauf ab einer Unternehmensbewertung von 6 Millionen Euro wieder lukrativ ist?

Genau. Wir haben außerdem das Board verkleinert. Tiger ist ganz ausgestiegen, die anderen Investoren sind aber dabeigeblieben. Sie halten jetzt noch 20 Prozent an Pitch. Sollte unsere Bewertung steigen, bekommen sie prozentual mehr Anteile, sodass sie ihr Geld zurückbekommen oder auch mehr als ihren Einsatz erlösen könnten. Das geht bis zu einer Bewertung von 150 Millionen Euro: Sollten wir die schaffen, halten sie dann insgesamt 33,3 Prozent.

„Wir hatten immer relativ viel Nutzerwachstum, aber viele wollten nicht bezahlen.“

Christian Reber

Wie viel ist die Firma jetzt noch wert im Vergleich zu der Finanzierungsrunde, bei der Pitch mit rund einer halben Milliarde Dollar bewertet wurde?

Schwer zu sagen, weil die Bewertung immer bei einer Finanzierungsrunde von den Investoren festgelegt wird. Aber angesichts der Marktentwicklung können wir wohl davon ausgehen, dass die Firma derzeit 95 Prozent weniger wert ist als damals. Wir schreiben auf das Jahr gerechnet 5 Millionen Euro Umsatz. Wenn man den Multiple von 6 anwendet, mit dem Software-as-a-Service-Firmen derzeit bewertet werden, sind das um die 30 Millionen Euro. Also sehr wenig. Wir gehen natürlich davon aus, dass sich die Bewertungen auch wieder erholen werden – aber damit die Euphorie wieder steigt, muss wahrscheinlich erst mal ein Krieg enden und die Welt ein bisschen stabiler werden.

Woran lag es, dass der Umsatz langsamer gewachsen ist als geplant?

An einer Mischung an Dingen: Wir hatten schon immer relativ viel Nutzerwachstum, aber viele wollten nicht bezahlen. Das hat natürlich den Hintergrund, dass Powerpoint und Google Slides prinzipiell kostenlos sind, weil Unternehmen die Software eh schon haben. Und wir haben es bisher nicht geschafft, das Produkt so wertvoll zu machen, dass Kunden von sich aus bezahlen wollen. Dazu kam dann der Marktcrash Anfang 2022.

Was hat der ausgelöst?

Zunächst hatten wir noch ein sehr gutes Umsatzwachstum von 12 bis 15 Prozent von Monat zu Monat. Als es dann abwärts ging, haben natürlich alle Unternehmen – wir auch – ihre Softwarelizenzen überprüft und teils gecancelt. Und als Präsentationssoftware waren wir da ganz vorn mit dabei. Dadurch ist das monatliche Wachstum auf 3 oder 4 Prozent gesunken. Und schließlich, glaube ich, haben wir auch zu früh skaliert.

Was war das Problem damit, früh auf Wachstum zu setzen?

Wir wollten mit Wagniskapital stark Nutzer akquirieren, haben das aber nicht profitabel hinbekommen. Da hat sich gezeigt, dass diejenigen bleiben, die von ganz allein zu uns finden. Aber die, die wir per Werbung quasi eingekauft haben, höchstens mal für eine Präsentation kommen und dann wieder gehen. Also in einfachen Worten: Turns out, building a powerpoint competitor is fucking hard.

Wie soll es in Zukunft gelingen, dass mehr Kunden für Pitch zahlen?

Wir setzen jetzt voll darauf, dass unsere Anwender herausragende, schöne Präsentationen mittels künstlicher Intelligenz automatisch erstellen können. Der nächste Schritt ist dann, für Unternehmenskunden mit Firmentemplate schnell Präsentationen automatisch möglich zu machen, zum Beispiel: Erstelle mir für das nächste Meeting Folien mit den aktuellen Geschäftszahlen. Bis dahin ist es ein langer Weg, aber unser KI-Release im September ist super angekommen. Die Software ist noch nicht ausgereift, aber wir sind bewusst früh damit herausgegangen, um aus der Anwendung der Kunden zu lernen, was wir wo verbessern können.

Du hast von einem hochgerechneten Umsatz von 5 Millionen Euro aufs Jahr gesprochen. Wie steht es sonst um das Unternehmen?

Wir wachsen solide von Monat zu Monat. Wenn es so weitergeht, sind wir nicht mehr so weit davon entfernt, profitabel zu werden – vielleicht in den nächsten zehn bis zwölf Monaten.

Nebenbei hast du zuletzt noch etwas ganz anderes abseits der Techwelt gestartet, nämlich ein Nahversorgungszentrum in Berlin. Was hat es damit auf sich?

Das leitet ein Arzt, den ich bei meiner Behandlung kennengelernt habe. Das Zentrum heißt Long Term Health Care und ist für Kassen- und Privatpatienten. Sie können dorthin gehen und ihre Marker auf Anzeichen von Stress und Burn-out testen lassen und mit Psychologen sprechen. Ich finde es wichtig, dass da viel mehr vorgesorgt wird.

Würdest du noch mal ein Start-up gründen?

Auf jeden Fall. Ich habe für mich eh herausgefunden, dass es nicht nur an der Arbeitsbelastung lag, sondern auch an der Umgebung. Ich bin einfach kein Großstadtmensch und nach so vielen Jahren in Berlin habe ich das nicht mehr ausgehalten. Wir sind inzwischen nach Mallorca gezogen und hier geht es mir wieder richtig gut.

„Wenn ich Leute entlassen muss, zerbreche ich fast innerlich.“

Christian Reber

Was würdest du noch anders machen?

Ich würde nicht mehr ohne psychologische Unterstützung gründen – mit mindestens ein oder zwei Gesprächen pro Woche. Denn man rennt von einem Hiobsthema zum nächsten und das ist einfach nicht gesund.

Inwiefern?

Ich habe mir oft eingeredet, dass ich als Gründer einfach zu emotional für die CEO-Rolle bin. Wenn ich etwa Leute entlassen muss, zerbreche ich fast innerlich. Ich hatte zum Beispiel eine Situation bei der ersten Kündigungswelle bei Pitch 2022. Die hat schon Panik in mir ausgelöst und ich bin am Tag davor zu meiner Ärztin gegangen und habe sie gefragt, ob sie mir etwas zur Beruhigung geben könne. Aber das sind stressige Dinge, mit deren Umgang muss man sich dauerhaft beschäftigen. Eine Pille allein hilft da nicht.

Kommt also als Nächstes ein neues Reber-Start-up auf Mallorca?

Tatsächlich ziehen mehr und mehr Techies her. Und Sam Altman, der Gründer von OpenAI, hat ja kürzlich gesagt, dass die nächsten Unicorns per AI von bloß einer Person geschaffen werden könnten. Vielleicht kommt so jemand auch mal nach Mallorca! Aber ich fokussiere mich jetzt erst einmal auf meine Rolle in den Boards bei Pitch, unserer neuen To-do-App Superlist und auf meine Investments in junge Start-ups. Dazu habe ich mich mit dem Blinkist-Mitgründer Niklas Jansen zusammengeschlossen – wir investieren unter dem Namen Interface Capital.

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