Markenfirmen stecken in der Amazon-Falle

Markenfirmen stecken in der Amazon-Falle

Verkäufe mit Verlust

Amazon-Gründer Jeff Bezos dürfte es kaum stören, aber mindestens ein Drittel der bekannten Konsumgüterhersteller verliert beim Verkauf auf Amazon Geld. Dies ergibt eine Analyse der Beratung Oliver Wyman. Ohne Werbung gelinge praktisch kein Verkauf mehr.

Cooper Neill / Getty Images

Firmenchef Markus Miele (55) reicht es. Seit Anfang des Jahres verkauft sein Hausgerätehersteller Miele nicht mehr auf Amazon. Das Gütersloher Unternehmen erklärt, die Megaplattform sei nicht mehr für den Vertrieb der Miele-Produkte „autorisiert“.

Zu den Gründen des Rückzugs hält sich Miele offiziell bedeckt. Doch aus Unternehmenskreisen ist zu hören, dass die Gütersloher es unter anderem nicht mehr akzeptieren wollten, dass Amazon interessierte Kunden selbst bei der konkreten Suche nach einer Miele-Waschmaschine gezielt auf Konkurrenzprodukte lenkte – durch aggressive Werbeanzeigen.

Und Mieles Problem hat System: Denn generell zeigt Amazon inzwischen zunächst die Produkte derer an, die Werbung gebucht haben – im Zweifel auch von Rivalen, selbst wenn Konsumenten konkret nach einer anderen Marke gesucht haben. Wer nicht bereit ist, für eigene Anzeigen zu zahlen, wird abgestraft – und nur noch schwer gefunden. Wer aber zahlt, bei dem sinkt die Profitabilität.

Für Amazon generiert diese Werbeoffensive gewaltige Profite. Das Anzeigenbusiness ist im Jahr 2023 auf 47 Milliarden Dollar angewachsen (2022: 38 Milliarden Dollar). Der Konzern konnte dadurch im vergangenen Halbjahr einen so hohen Gewinn erwirtschaften wie noch nie.

Doch das Geschäft der Markenfirmen, die via Amazon verkaufen, drückt die Strategie des Konzerns immer öfter in die Unrentabilität. Dies ist das Ergebnis einer Studie der Strategieberatung Oliver Wyman, die dem manager magazin exklusiv vorliegt. „Mindestens ein Drittel der Markenhersteller wirtschaftet unserer Analyse nach auf Amazon nicht mehr profitabel“, erklärt Oliver-Wyman-Berater Martin Schulte (44).

Wahre Kosten werden verschleiert

Ein Problem sei dabei, dass viele Verkäufer gar nicht genau wüssten, wie viel ein Verkauf über Amazon sie überhaupt koste, sagt Schulte. Das liege daran, dass Amazon auf verschiedenen Ebenen abkassiere: neben der Werbung auch bei der Logistik oder der Zahlungsabwicklung. Die Folge ist, dass die einzelnen Kostenblöcke in unterschiedlichen Abteilungen liegen – und niemand einen kompletten Überblick hat: „Typischerweise wird in Großunternehmen gar nicht die Summe für einen Kanal wie Amazon quer über die verschiedenen Töpfe hinweg gebildet“, so Schulte.

Das Ergebnis: Bei einem der Oliver-Wyman-Klienten, der bei einer oberflächlichen Betrachtung der Gewinn-und-Verlust-Rechnung eine Gewinnmarge von 14 Prozent (Ebit) auf Amazon erzielt hat, schrumpft die Marge auf bloß 6 Prozent zusammen, wenn die gesamten Logistik- und Marketingkosten einbezogen werden (siehe Grafik). Wenn dann noch die langfristigen Auswirkungen von Preissenkungen für Aktionen wie Amazons „Prime Day“ berücksichtigt würden, erziele das Unternehmen de facto einen Verlust bei dem Verkauf über Amazon: Die Ebit-Marge drehe deutlich ins Negative – auf minus 4 Prozent.

Eine Amazon-Sprecherin erklärte dazu auf Anfrage, dass Amazon nur erfolgreich sei, „wenn unsere Verkaufspartner erfolgreich sind“. Amazon gebe jedes Jahr „Milliarden“ aus, um „Verkaufspartner:innen zu helfen, in unseren Stores erfolgreich zu sein, ihren Traffic zu steigern, unsere Server und Infrastrukturen zu nutzen, die unseren Onlinestore jederzeit offen halten, sowie Betrug und Missbrauch zu bekämpfen“.

Zwei Fünftel der Verkaufssumme landen bei Amazon

Amazon vereinnahmt einen immer größeren Anteil der Summe, den Verkäufer auf der Plattform umsetzen. Nach Berechnungen von Oliver Wyman liegt der Betrag inzwischen durchschnittlich bei 41 Prozent. Bedeutet: Mehr als zwei Fünftel der Verkaufssumme für eine Ware landen am Ende bei Amazon, obwohl Amazon die Ware gar nicht selbst verkauft. Das markiert einen massiven Anstieg: 2018 waren es noch 30 Prozent. Allein im vergangenen Jahr sind die Kosten nach Oliver-Wyman-Berechnungen wieder um drei Prozentpunkte gestiegen (siehe Grafik).

Die 41-Prozent-„Take Rate“, die Amazon im Durchschnitt einstreicht, setzt sich dabei aus verschiedenen Positionen zusammen: Darunter fällt die „Verkaufsgebühr“, die einfach dafür anfällt, dass der Artikel überhaupt über Amazon verkauft wird. Dazu kommen Kosten für Amazons Logistikdienstleistungen und eben die Werbeausgaben. Und gerade dieser Teil steigt beständig: Die Marketingausgaben bei Amazon liegen inzwischen bei 7 Prozent des Bruttohandelsvolumens (GMV), fast doppelt so hoch wie 2020 (4 Prozent).

„Mittlerweile bekommen Sie praktisch keinen Verkauf mehr hin, ohne substanziell bei Amazon in Marketing zu investieren“, sagt Schulte. „Selbst, wenn die Kundinnen und Kunden ein Markenprodukt suchen, sind die ersten fünf bis zehn Plätze der Suchergebnisse zumeist alle über Marketinggeld vergeben – und wenn da schon ein passendes Produkt dabei ist, klicke ich nicht mehr auf die Seiten zwei, drei oder vier.“

Eine Amazon-Sprecherin erklärte dazu, dass Amazon „eine Mischung aus organischen und gesponserten Suchergebnissen“ biete, die „auf verschiedenen Faktoren, wie Relevanz, Beliebtheit unter Kund:innen, Verfügbarkeit, Preis und Lieferzeiten basieren“.

Prime Days mit fataler Wirkung

Ein anderes Problem für die Markenhersteller ist Schulte zufolge, dass Amazonverkäufe immer stärker „eventgetrieben“ seien. Ein Großteil des Umsatzes werde an Aktionstagen wie den Prime Days oder am Black Friday erzielt. Das Problem: „Diese Events ziehen Produktpreise nachhaltig herunter.“ Es gebe einen „negativen Schneeballeffekt“, wenn andere Händler wie Saturn oder MediaMarkt dann bei Preisrabatten nachzögen. So bleiben die Preise für ein Produkt woanders unten, auch wenn sie bei Amazon wieder hochgesetzt werden.

Für Premiumhersteller mit einer starken Marke sei es daher sinnvoll, bei Aktionen gar nicht erst Rabatte zu gewähren. In der Breite aber könnten sich das längst nicht alle Händler erlauben. Für viele sei Amazon inzwischen zu wichtig, sagt Schulte. Der Kanal mache bei vielen Unternehmen inzwischen 15 bis 20 Prozent des Gesamtumsatzes aus und sei mitunter entscheidend für die Auslastung der Fabriken. „Das ist wie eine Droge, von der Sie nicht mehr herunterkommen.“

„Verlängertes Outlet“

Einige Markenfirmen wie Adidas nutzten Amazon, so berichtet es ein Unternehmenskenner, als „verlängertes Outlet“, um Ware abzuverkaufen, die die Lager verstopfe. Nur wenige große Markenhersteller wie Miele haben sich bisher ganz von Amazon zurückgezogen.

Angesichts der Marktmacht können sich den Verzicht nur wenige leisten: Amazon setzt in Deutschland inzwischen umgerechnet rund 35 Milliarden Euro um. Der Wert der über Amazon verkauften Waren liegt dabei noch weit höher. Die Digitalberatung Carpathia schätzt das Bruttohandelsvolumen (GMV) auf rund 46,5 Milliarden Euro. Im Onlinehandel wird Amazon ein Marktanteil von mehr als 55 Prozent zugerechnet.

Aber: Selbst für Amazon sei es nicht ungefährlich, dass es sich für Markenfirmen immer weniger lohne, über die Seite zu verkaufen, erklärt Schulte. „Die Frage ist, ob die Hersteller anfangen, bei Amazon kostengünstiger produzierte Produkte anzubieten, um höhere Margen zu erzielen. Dann würde ich bei Amazon minderwertige Qualität bekommen.“ Und davon hätte wohl wirklich niemand mehr was.

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