Nach dem Ausstieg aus der Kohle kommt der Streit ums Wasser

In Ostdeutschland liegen zwei große Tagebauregionen. Mit dem schrittweisen Ausstieg aus der Kohle stecken beide Landstriche bereits tief im Strukturwandel. Jetzt könnte auch noch das Wasser knapp werden. Ein Report über große Visionen – und noch größere Probleme.

E
s ist idyllisch hier in Burg, mitten im Spreewald. Kähne gleiten gemächlich über die Kanäle, unter Holzbrücken hindurch, vorbei an schwarzen Blockhäusern mit weißen Sprossenfenstern. Erlen und Eschen stehen aufgereiht am Wasser, Narzissen blühen, Schafe grasen im Sonnenschein. An Bord sind die Tische mit Deckchen und Blumen dekoriert. Touristen drücken sich in die dicken Polster, nicht wenige sind von weither ins beliebte Ausflugsziel eine Stunde südlich von Berlin angereist. Es fließen Gurken-Radler und Gurken-Schnaps, die Stimmung auf dem Boot ist ausgelassen.

An Land steht Thomas Petsching, der solche Kahnfahrten für Besucher anbietet. Er ist besorgt, spricht gar von „Angst“. Denn nicht nur ihm und seinem Geschäft, auch vielen Nachbarn in der Gegend, durch die sich heute noch gut 1000 Kilometer Flussarme und Kanäle ziehen, könnte bald die wichtigste Ressource ausgehen: das Wasser.

Dass der Spreewald und auch andere Gebiete in der Lausitz verdorren, könnte ein riesiges Rohrleitungssystem verhindern. Die Idee: Es soll Wasser aus der Elbe anzapfen, auf Berge hochpumpen und durch Tunnel nach Norden abfließen lassen. Bis in die Spree und in den Spreewald, aber dazu später mehr.

Grund für den drohenden Wassermangel ist die Kohle. Sie hat, so seltsam das klingen mag, das Lausitz-Idyll mit seinen Kähnen und Kanälen überhaupt erst geschaffen. Doch die Kohle ist es nun, die die Region vor gewaltige Aufgaben stellt, genauer gesagt: der Strukturwandel.

Er betrifft den Lausitzer Bergbau zwischen Cottbus in Brandenburg und Weißwasser in Sachsen, genauso wie das mitteldeutsche Revier zwischen Dessau in Sachsen-Anhalt und Altenburg in Thüringen. Die meisten großen Gruben der Lausitz sind bereits stillgelegt. Im Dezember stoppten die Bagger in Jänschwalde, einem der letzten großen Tagebaue. Bis spätestens 2038 sollen die drei noch verbliebenen folgen. Dann endet in der Region das Zeitalter der Kohle.

Sie gab den Menschen im Osten Deutschlands über Jahrzehnte eine Gewissheit: Weil unter ihrer Heimat große Vorkommnisse an Braunkohle lagern, haben sie Strom, Wärme und Arbeit. Dies galt in Zeiten der DDR sowie in den chaotischen Nachwendejahren. Damals war das ein Versprechen auf die Zukunft. Heute läuft hier eine Wette auf die Zukunft. Der Wandel ist von historischem Ausmaß. Alles dreht sich um Arbeitsplätze, Ansiedlung moderner Industrie sowie Wissenschaft – und Tourismus.

Wie die Transformation gelingen soll

Wenn spätestens 2038 Schluss sein soll mit der Kohleförderung, brauchen Tausende Arbeiter in Tagebauen und Kohlekraftwerken neue Jobs. Der Staat hat milliardenschwere Hilfen für den Umbau der Braunkohlereviere beschlossen, mehr als zehn Milliarden Euro allein für die Lausitz, acht Milliarden für das kleinere, mitteldeutsche Revier zwischen Bitterfeld und Altenburg, westlich von Leipzig. Die Herausforderungen, die mit dem Strukturwandel einhergehen, sind gewaltig. Niedrige Flusspegel, gesunkene Grundwasserspiegel, knappes Trinkwasser kommen in jüngster Zeit verstärkt hinzu. Und mancherorts führen selbst Projekte, die einst als gelungen galten, zu Streit.

Und so treibt Menschen wie Kahnunternehmer Petsching eine diffuse Angst um. Was kommt da auf uns zu? Sie fühlen sich erinnert an die Umbrüche der Wendejahre, die Arbeitslosigkeit. Manche führt das zur AfD. Im Herbst stehen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen Landtagswahlen an, bei denen die Partei Rekordergebnisse erreichen könnte.

Die Politik ist alarmiert, schließlich geht es um die Zukunft der Region weit über die Abstimmungen hinaus. Die Wahlen seien entscheidend für eine weitere positive wirtschaftliche Entwicklung der Kohleregionen und für Ostdeutschland insgesamt, sagt der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD). Es brauche „eine Kultur der Offenheit in den Städten und Gemeinden vor Ort“. Was Schneider damit meint: Ein Wahlsieg der AfD würde den Strukturwandel erheblich gefährden.

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) verweist auf die ersten Erfolge des Wandels: die jüngsten bundesweiten Wirtschaftszahlen. Das Wachstum in seinem Bundesland lag im vergangenen Jahr mit 2,6 Prozent deutlich über dem Bundesdurchschnitt. In der Lausitz entstehe ein „guter Mix“ aus Industrie, Wissenschaft, Kultur und Tourismus, sagt Woidke.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Rainer Haseloff (CDU) ist ebenfalls optimistisch. Er ist überzeugt, dass der Strukturwandel die Chance bietet, dass sich „ein ganzer Landstrich neu erfinden kann“. Die alte Energieregion werde mit ihrer neuen, grünen Industrie die erneuerbaren Energien voranbringen. Es brauche jedoch Zeit, bis ein solcher Prozess seine Wirkung entfalte. „Das geht nicht von heute auf morgen“, sagt Haseloff, „aber die Transformation wird gelingen.“ Sachsens Umweltminister Wolfram Günther (Grüne) erklärte vor einigen Wochen: „Wirtschaft braucht Wasser. In der Lausitz hängt davon auch das Gelingen des Strukturwandels ab.“

Auf dem Papier sind die Visionen groß: Die Rede ist von Forschungszentren, Hochschulen und neuer Infrastruktur. Im Januar eröffnete in Cottbus das ICE-Instandhaltungswerk mit den ersten 400 von insgesamt 1200 geplanten Jobs. Bis 2050 soll eine Wasserstoffwirtschaft mehr als 80 Prozent der mit dem Kohleausstieg wegfallenden Arbeitsplätze ersetzen.

Vor allem aber, so bewirbt es der Lausitzer Tourismusverband, soll die Region zu Europas größter künstlicher Seenlandschaft werden: 25 Seen mit 15.000 Hektar Wasserfläche sind vorgesehen, von einem „Paradies für Hobbykapitäne und Freizeitmatrosen, mit hellen Sandstränden und idyllischen Naturbadeseen“, schwärmt der Verband. Es ist das zentrale Vorhaben in Sachen Strukturwandel. Jedes Jahr sollen mehr als 1,5 Millionen Übernachtungsgäste kommen. Mehr als 122 Millionen Euro soll das Bade- und Wassersportparadies für die Region erwirtschaften und den Lebensunterhalt von 6000 Einwohnern sichern. Der Schmutz der alten Gruben, er soll endgültig wegspült werden. Es gibt jedoch ein Problem.

Neue Fabriken und Freizeitangebote, dazu die gigantischen Flutungen der Tagebau-Restlöcher – die Nachfrage nach Wasser wird hier noch stärker steigen als im Rest der Republik. Dabei ist die Lausitz eine der regenärmsten Regionen Deutschlands. Der Klimawandel verschärft die Situation: Schon jetzt ist sie überdurchschnittlich häufig von Dürre betroffen. Die Schwarze Elster zum Beispiel, ein wichtiger Fluss der Region, lag in den vergangenen Sommern mehrfach über viele Kilometer trocken, viele Teiche ebenso. Das Grundwasser sank an manchen Stellen auf ein kritisch niedriges Niveau. Sogar das Trinkwasser in Berlin, das größtenteils aus der Spree stammt, könnte in den kommenden Jahren knapp werden.

In der Lausitz wurden die Flussarme mehr als 100 Jahre lang zusätzlich mit Wasser aus den umliegenden Tagebauen versorgt. Dort beförderten Pumpen das Grundwasser aus den Gruben heraus und machten so den Abbau der Kohle erst möglich. Die Spree bezieht aktuell noch ihr Wasser fast zur Hälfte aus diesem Grundwasser, im Sommer sind es sogar fast Dreiviertel. Stehen nach dem Ausstieg aus der Kohle die Bagger still, und damit die Pumpen, steigen die Grundwasserspiegel in den Tagebauen langsam wieder an, die Löcher füllen sich.

Der künstlich über lange Zeit übervollen Spree und ihren Nebenarmen hingegen geht dann das Wasser aus. Im Spreewald drohen von den gut 300 Kanälen viele kleinere auszutrocknen; das Biosphärenreservat mit seinen Auen und Mooren, den Eisvögeln und Schwarzstörchen, den Fröschen und Fischen, und vor allem den Hunderttausenden Touristen droht dann über weite Teile trockenzufallen.

Fast 126 Millionen Kubikmeter Wasser werden der Lausitz jedes Jahr fehlen, wenn alle Restlöcher gefüllt sind. Das hat das Umweltbundesamt berechnet. Die Bewohner und Betriebe im Spreewald hatten sich an die künstlich übervolle Spree gewöhnt. Die neu entstehenden Seen können den Mangel aber nicht ausgleichen. Denn das Wasser darin kann oft über viele Jahrzehnte nicht genutzt werden.

Der Grund: Steigt das Grundwasser in den Gruben, lösen sich darin auch Substanzen aus dem Untergrund. Sie machen die Gewässer noch lange Zeit derart sauer, dass man deren Wasser weder zum Trinken noch zum Baden nutzen kann. Stattdessen braucht es zusätzliches, frisches aus den umliegenden Flüssen und den weiter entfernten. Kleine Einsparungen, ob in Industrie oder Tourismus, würden die Lücken nicht füllen, so das Bundesamt.

Was nötig ist für eine Seenlandschaft

Oliver Totsche gehört zu jenen, die den Wandel verantworten. In der Zentrale der Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV) in Senftenberg, in einem neunstöckigen Block aus den 1960er-Jahren mit bräunlicher Fassade, deutet er auf blinkende Bildschirme. Über sie kann er gezielt jedes einzelne der Hunderten von Schleusentoren in der Umgebung öffnen und schließen, je nach Regen und Jahreszeit kann er so die Zuflüsse aus den umliegenden Speicherbecken und Flüsschen hochfahren oder stoppen, ohne dass es an anderer Stelle knapp wird.

Totsche leitet die Abteilung „Grundsätze Geotechnik und Wasserwirtschaft“. Die LMBV ist im Auftrag von Bund und Ländern verantwortlich für die Sanierung der Tagebaue, die bis 1989 stillgelegt wurden. Denn Grundwasser allein, das nicht mehr abfließt, sondern steigt, macht noch keine Seenlandschaft.

Blieben die verlassenen Gruben sich selbst überlassen, entstünde höchstens eine Sumpflandschaft, eine aus Säure statt aus Wasser. Die Hänge rutschten nach und nach ab, die Landschaften müssten großflächig abgesperrt und überwacht werden. Wegen der beim Bergbau ausgewaschenen Eisen-Sulfid-Verbindungen läge der pH-Wert bei zwei bis drei, genau wie der von Essig.

Weder Baden noch Bauen ließe sich dort, Fische und andere Lebewesen fänden keinen Lebensraum. Um das zu verhindern, müssen die Restlöcher, wie die alten Kohlegruben genannt werden, parallel von unten mit Grundwasser und von oben mit Frischwasser aus anderen Gewässern versorgt werden. Der Pegel muss schnell genug steigen, damit seine Masse ausreichend Druck auf die sandigen Hänge ausübt und sie stabil hält.

Totsche ist dafür zuständig, dass das Wasser an die richtige Stelle fließt. Die Bildschirme vor ihm gehören zur sogenannten Flutungszentrale. Hier wird überwacht, wie viel wohin fließt, ohne dass das Wasser an anderer Stelle knapp wird, und wie sich die Qualität der neu entstehenden Gewässer entwickelt. Totsche wirkt entspannt und sagt: „Um unsere Restlöcher zu fluten, ist noch genügend Wasser da.“ Sie hätten „eben gut gehaushaltet“, genügend Kanäle und Speicherbecken gebaut, bereits vieles aus den umliegenden Flüssen abgegriffen.

16 der insgesamt 24 größeren Gruben hat die LMBV in der Lausitz bereits in Seen verwandelt. Etwa 13,5 Milliarden Euro aus Steuern hat das verschlungen, weitere vier Milliarden sollen folgen. Insgesamt 13 Seen stehen in den nächsten Jahren noch an. Für viele davon ist der Energiekonzern LEAG zuständig, ein Unternehmen des tschechischen Versorgungskonzerns EPH. Wenn Totsche davon spricht, dass für seine Restlöcher ausreichend Wasser da ist, gilt das noch lange nicht für die Flutungen der LEAG.

Aus dem Unternehmen selbst heißt es dazu, es könne noch keine verbindlichen Angaben zur noch notwendigen Menge machen, die Planung für die Seen sei noch nicht abgeschlossen. Die Restlöcher würden sich in jedem Falle füllen, die Frage sei nur, wie lange das dauert. Dadurch entscheidet sich auch, welche Landschaft entstehen soll. Ein instabiler Sumpf, den niemand nutzen kann. Oder das feste Terrain, an dem sich bauen und baden lässt. Doch dafür braucht es, das macht das Umweltbundesamt auch klar, das zusätzliche Wasser. Notfalls aus der Ferne. Die Behörde hält deshalb etwas für „unerlässlich“, das lange als undenkbar galt: Einen „Masterplan“ gigantischen Ausmaßes.

Von der Elbe in die Lausitz – mit Pumpen und Röhren

Zwei Fahrstunden südlich von Senftenberg, in Bad Schandau in der Sächsischen Schweiz, schreitet Stephan Schuch an einer schmalen Einbuchtung der Elbe entlang. Am Hang neben ihm reihen sich hübsch sanierte Einfamilienhäuser und Ferienwohnungen mit ihren Gärten aneinander, die Festung Königstein liegt in Blickweite. Schuch leitet den Fachbereich „Wasserwirtschaft“ bei der sächsischen Landestalsperrenverwaltung.

Gemeinsam mit seinem Team will er herausfinden, wie sie hier, mehr als hundert Kilometer von der Lausitz und 150 Kilometer vom Spreewald entfernt, die Elbe über Rohre anzapfen könnten, um die zukünftige Ex-Kohleregion, ihre Industrie, ihren Tourismus, ihre Städte ausreichend zu versorgen. Schuch sagt: „Wir können ja die Lausitz nicht einfach hängen lassen.“

Nach einigen Minuten bleibt Schuch an einem kleinen Hafen stehen, lässt seinen Blick schweifen und sagt: „Hier könnte womöglich das Pumpwerk stehen.“ Vielleicht auch ein paar Meter weiter oder ganz woanders, genau wisse man das ja bisher nicht. Wenn der Ingenieur über diese Pläne redet, wählt er seine Worte mit Bedacht. Denn er weiß, das Thema ist heikel. „Die Leute glauben, man will ihnen hier das Wasser wegnehmen.“ Doch dem sei nicht so. Der Wasserbauingenieur holt eine Karte hervor, auf der sich farbige Linien von der Elbe Richtung Norden schlängeln – mögliche Trassen für die Pipeline.

Das Vorhaben könnte folgendermaßen aussehen. Das Pumpwerk würde hier in Bad Schandau das Elbwasser in drei Meter breiten Rohren zunächst auf die Anhöhe am Ufer befördern. Von dort würde es 35 Kilometer im Tunnel bergab in Richtung Bautzen und die dortige Talsperre strömen. Bei Bedarf ließe es sich weiter in die alten Tagebaue verteilen. Etwa 70 Kilometer Leitung wären dafür insgesamt notwendig, bis zu vier Kubikmeter Wasser in jeder Sekunde würden aus der Elbe entnommen. „Ein winziger Bruchteil, den man kaum bemerkt“, sagt der 46-Jährige. „Und das auch nur im Winter, wenn der Fluss ohnehin voll ist.“

Schuchs Behörde wird in den kommenden Jahren prüfen, welche Trasse die beste sein könnte. Wo ist der Weg am kürzesten, wo der Untergrund am geeignetsten, wo sind möglichst wenige Wohn- und Naturschutzgebiete betroffen? Auf Hunderte Millionen Euro werden die Kosten dafür geschätzt. Trassen, die das Wasser von einer Gegend in eine andere transportieren, sind zwar generell nichts Seltenes. Gerade werden vom Rhein Rohre in die Gruben der Tagebaue Garzweiler und Hambach in Nordrhein-Westfalen geplant. An der Elbe gab es schon in den 1990er-Jahren erste Überlegungen, Leitungen in die Lausitz zu legen. Doch die derzeit diskutierte Pipeline wäre derart lang und die Wassermenge derart groß, dass die Planungs- und Baumaßnahmen besonders aufwendig sind. Das Projekt ist so groß, dass Schuch glaubt, dass er in seinem Dienstleben eine Inbetriebnahme nicht mehr erleben wird.

Wie viel Wasser braucht es wirklich?

Die Leitungen sollen nicht, wie andernorts, nur vorübergehend liefern, bis die Gruben voll sind. Sie sollen die Lausitz auf lange Sicht mit Wasser versorgen. Womöglich für die Ewigkeit.

Das Projekt ist umstritten, nicht nur unter Umweltschützern. Eine „energieintensive Ewigkeitsaufgabe“ nennt es Martin Pusch vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin. Die Elbe sei noch immer voll von Algen, die durch die Einleitungen aus Industrie und Landwirtschaft entlang des Flusses entstehen. Bestimmte gebietsfremde Muscheln seien viel mehr verbreitet als in der verhältnismäßig sauberen Spree.

Beide Gewässer einfach miteinander zu mischen, könne der Spree schaden. Noch viel entscheidender sei aus seiner Sicht aber vor allem eines: Konzentriere man sich allein auf die Rohrleitungen, ließe man wichtige Maßnahmen vor Ort in der Lausitz vollkommen außer Acht. Pusch sagt: „Es müsste vielmehr dafür gesorgt werden, dass das Wasser in der Gegend selbst besser versickert.“ Im Winter sollten dafür die dortigen Flüsse und Kanäle auf die Felder umgeleitet werden, um die Böden und Speicher aufzufüllen. Denn das sei auch klar: „Das Wasser aus der Elbe reicht sowieso nicht aus, um die Probleme damit in Brandenburg und Berlin zu lösen.“

Selbst im Spreewald wird der Rettungsplan mitunter kritisch gesehen. Und das ausgerechnet von einem, der vom Wasser lebt. „Anderen das Wasser wegnehmen“, sagt Kahn-Betreiber Thomas Petsching, „das macht man einfach nicht.“ Schließlich werde es überall knapper.

Seit 15 Jahren organisiert er Kahnfahrten für Touristen. Schon sein Vater und Großvater schipperten Gäste über die dünnen Arme der Spree. Der 40-Jährige mit den kräftigen Schultern und dem grauen Haar führt seit drei Jahren sein eigenes Unternehmen mit 17 Angestellten, zudem betreibt er eine kleine Gaststätte mit Bockwürsten und Schmalzbroten. Das Geschäft läuft. Mehr als 800.000 Gäste besuchten im vergangenen Jahr den Spreewald.

Petsching faltet eine Karte auf, fährt mit dem Finger die blauen Linien entlang, spricht von den Schleusen und den Fließen, wie die Flüsschen hier heißen. „Bislang“, sagt er, „sind wir verwöhnt.“ Er erzählt von den goldenen 1990er-Jahren, in denen vor allem Besucher aus Westdeutschland auf dem Weg nach Berlin ein paar Tage in seinem „Naturparadies“ verbrachten. Die Gegend stellte beinahe komplett auf Tourismus um, viele haben es seither mit ihren Ferienwohnungen und Fährunternehmen zu einem gewissen Wohlstand gebracht. Auch Petsching hat erst vor wenigen Monaten mehr als 200.000 Euro in den Ausbau seiner Gaststätte investiert und 30 neue Boote angeschafft. „Vielleicht aus Dummheit“, sagt er heute. Denn inzwischen sei ihm klargeworden: „Das ist hier alles endlich.“

Wenn nichts geschehe, „dann sterben die Dörfer hier aus“, sagt Petsching. Er hat trotz allem noch Hoffnung und einen Vorschlag. Er möchte im Spreewald wohnen und auch seine heute vier Jahre alte Tochter solle einmal in der Region bleiben können, ohne „in einer Wüste zu leben“. Seine Lösung wäre es, das künstliche Kanalsystem nur auf niedrigerem Niveau zu erhalten. Er hätte nichts gegen den Abschied vom Massentourismus. Rad- und Wanderwege könnten zum Beispiel ausgebaut, weitere Angebote erdacht werden. In anderen Teilen der Erde, so erzählt er dann mit ein wenig Trotz in der Stimme von seiner letzten Reise nach Dubai, komme man schließlich ebenfalls mit weniger Wasser aus, und das sehr gut. Dann, so sagt er, werden sie hier im Spreewald das ja wohl ebenfalls hinbekommen.

Am Wasser toben Verteilungskämpfe

Die Frage nach dem Wasser ist nicht die einzige, wenn es darum geht die Zeit nach der Kohle zu gestalten. Denn selbst wenn alte Gruben geflutet, die Ufer befestigt, die Pläne erarbeitet und umgesetzt wurden für zukünftige Besucher und Bewohner, ist die Transformation noch nicht automatisch geglückt. Das zeigt das Beispiel eines anderen ehemaligen Reviers.

In Bitterfeld-Wolfen wird gestritten über neue Wassergrundstücke und die Gewinne aus ihrem Verkauf. Das 47.000-Einwohner-Städtchen im Südosten Sachsen-Anhalts lag früher direkt an der Abbruchkante des Tagebaus Goitzsche, heute liegt es am Seeufer. Seit fast 20 Jahren schippern Segelboote über das Wasser, Menschen baden im ehemaligen Restloch. Jahrzehnte zuvor litten die Bitterfelder unter dem Dreck. Der Kohlestaub überzog Hauswände und färbte den Himmel schwarz.

Bis 1991 wurde Braunkohle aus den Gruben gefördert, die Löcher danach geflutet. Nach dem Mauerfall flossen Hunderte Millionen aus Steuern in die Renaturierung. Strände und Promenaden zum Flanieren, ein Urlaubsort für alle, mitten in Bitterfeld. So lautete das Versprechen. Der Ort und der Goitzschesee galten lange Zeit als Vorzeigeprojekt. Doch statt stolz auf das Erreichte zu sein, gibt es Verteilungskämpfe. Es geht darum, wem der See denn nun eigentlich gehört. Aber der Reihe nach.

Uwe Bruchmüller steht auf dem Bitterfelder Bogen. Die von einem Künstler entworfene Stahlbrücke auf dem Bitterfelder Berg, einer ehemaligen Abraumhalde, symbolisiert die erfolgreiche Umwandlung der Region zu einem neuen Technologie- und Forschungszentrum sowie zu einer nachhaltigen Natur-, Seen- und Freizeitlandschaft. 28 Meter hoch, 81 Meter lang, 14 Meter breit, bei gutem Wetter reicht der Blick bis ins gut 40 Kilometer entfernte Leipzig. Es gibt wenige Orte, an denen sich der Strukturwandel einer Kohleregion so gut verstehen lässt wie hier oben.

Bruchmüller, ein Mann von 60 Jahren und mit freundlichem Gesicht, zeigt auf seine Heimat. „Da drüben“, sagt er, „ist der Chemie-Park“, einer der größten Europas. 12.000 Menschen fanden dort Arbeit bei 360 Firmen.

Bruchmüller ist ehrenamtlicher Ortsbürgermeister von Thalheim, einem Ortsteil von Bitterfeld-Wolfen und bekennender Fan von Helmut Kohl, dem Kanzler der Wiedervereinigung. Wenn er sich an die Vergangenheit erinnert, sagt er: „Das waren harte Zeiten damals.“ Tausende verloren ihren Job. Die gesamte Region sei „einmal umgepflügt worden. Kein Stein blieb auf dem anderen.“ Mit der Braunkohle wurde eine ganze Industrie abgewickelt und eine Region neu gestaltet.

Er fährt mit dem Finger den Horizont entlang und zeigt auf eine Wohnsiedlung. „Da bin ich aufgewachsen. Und ein paar Straßen weiter bin ich zur Schule gegangen.“ Im Volkseigenen Betrieb „Braunkohlenkombinat Bitterfeld“ hat er zunächst seine Ausbildung zum Elektromonteur absolviert, später war er Betriebsrat, dann tätig für die Gewerkschaft der Bergbau- und Chemieindustrie und für einen französischen Umwelt- und Wasserkonzern. Bruchmüller erlebte den gesamten Strukturwandel mit. Er sah, wie die Grube wuchs, wie sie stillgelegt und später mit Wasser gefüllt wurde.

Der Bürgermeister zeigt zum 500 Meter entfernten Goitzschesee. 1998 wurde mit der Flutung des ehemaligen Tagebaus begonnen. Dafür wurde das Wasser des hiesigen Flusses, der Mulde, umgeleitet. Eigentlich sollte das bis 2006 dauern. Doch dann kam das Muldehochwasser 2002. Der Fluss durchbrach einen Damm und flutete den ehemaligen Tagebau innerhalb von zwei Tagen. Der Pegel stieg sechs Meter höher als geplant und überflutete Teile Bitterfelds. „Wasser kennt eben keine Verwaltungsvorschriften“, sagt Bruchmüller und lacht. Wohlwissend, dass viele Einwohner große Schäden zu beklagen hatten.

Heute ist der für 345 Millionen Euro renaturierte Goitzschesee mit 1332 Hektar der zweitgrößte See Sachsen-Anhalts und ein beliebtes Ausflugsziel. Um das Gewässer führt ein 30 Kilometer langer Radweg, der den Strukturwandel der vergangenen Jahrzehnte „von der Industrielandschaft hin zur Kulturlandschaft Goitzsche“ erlebbar macht. Es ist ein touristisches Kleinod inmitten des ehemaligen Braunkohlereviers – und wäre ein Beispiel für eine gelungene Transformation. Gäbe es da nicht den Streit um die Nutzung, der seit zwei Jahren die Gemüter erhitzt – und Helmut-Kohl-Verehrer Bruchmüller dazu veranlasst hat, aus der CDU auszutreten.

Es geht dabei um einen umstrittenen Verkauf. Vor zehn Jahren waren die Stadtkassen leer, Bitterfeld-Wolfen musste 1500 Hektar, eine Fläche von fast 2100 Fußballfeldern, der teuer sanierten Goitzsche verkaufen. Der Kaufpreis betrug 2,9 Millionen Euro, im Nachhinein gesehen ein Schnäppchen.

Käufer war die Blausee GmbH. Das Unternehmen gehört zum Merckle-Konzern, einem Pharma-Riesen mit knapp 30 Milliarden Euro Jahresumsatz. Bruchmüller und weitere Kommunalpolitiker sind davon überzeugt, dass der Kaufpreis viel zu niedrig war, den Kommunalpolitikern damals nicht alle Informationen vorgelegen haben. Der See-Verkauf war auch eines der zentralen Themen des Kommunalwahlkampfes im vergangenen Herbst. Vor allem die AfD inszenierte sich als Aufklärerin. Spitzenkandidat Henning Dornack warf dem amtierenden CDU-Bürgermeistern Armin Schenk auf Wahlplakaten „Vetternwirtschaft“ und in Debatten fehlenden Aufklärungswillen vor.

Im Ort ist sogar von der „Goitzsche-Mafia“ die Rede. So werden verächtlich jene Lokalpolitiker genannt, die angeblich den Goitzschesee nach der Privatisierung gewinnbringend unter sich aufgeteilt haben und nun auf lukrativen Seegrundstücken wohnten. Beinahe hätte die AfD damit sogar die Wahl gewonnen. Auch, weil die anderen Parteien das Thema zunächst eher verdrängten. Erst im zweiten Wahlgang konnte Schenk sich hauchdünn mit 1200 Stimmen durchsetzen.

Der Streit ging nach den Kommunalwahlen weiter. Ende vergangenen Jahres stimmte der Stadtrat schließlich – parteiübergreifend von AfD bis SPD – für eine Rückabwicklung der Kaufverträge. Welche Folgen das für Bitterfeld-Wolfen hat, ist derzeit noch nicht absehbar. Die Frage, wie es nun weitergeht, will die Stadtverwaltung unter Verweis auf das laufende Verfahren nicht beantworten. Schon jetzt hat die Stadt mehr als 200.000 Euro für Rechtsanwaltskosten gezahlt.

Auch auf Investorenseite ist der Unmut über die aktuelle Situation groß. Als Statthalter von Blausee, also jener Firma, die damals die Flächen kaufte, gilt der Unternehmer Ingo Jung. Er ist Geschäftsführer der privaten Goitzsche Tourismus GmbH, die mit der Entwicklung der Flächen beauftragt ist. Bis 2019 saß er noch selbst für die CDU im Stadtrat. Mittlerweile gehören ihm zahlreiche Touristikfirmen rund um den See. Auch ein Hotel ist darunter, in dem der CDU-Landesvorstand regelmäßig tagt. Eine Rückabwicklung der Kaufverträge wäre für ihn fatal, sein Geschäftsmodell am Ende.

Auf die Vorwürfe aus dem Stadtrat angesprochen erklärt Jung, dass man doch froh sein solle, „dass es Leute gibt, die bereit sind zu investieren und etwas zu entwickeln“. Für ihn sei die Goitzsche „trotz allem eine Erfolgsgeschichte“. Dass die Grundstücke heute mehr wert sind, sei Investoren zu verdanken „und nicht irgendwelchen Provinzpolitikern“.

Zu diesen „Provinzpolitikern“, wie Jung sie nennt, zählt auch Ferid Giebler. Der Parteilose ist Bürgermeister der kleinen Gemeinde Muldestausee vor den Toren Bitterfeld-Wolfens. Er gehört wie Thalheims Bürgermeister Bruchmüller zu jenen Kommunalpolitikern, die Aufklärung beim Goitzsche-Verkauf fordern. Bei ihm im Ort, an den Schlossterrassen, ist zu sehen, was der Streit um die exklusiven Wasser-Grundstücke konkret bedeutet. Auf den begehrten Flächen entstanden ab 2016 mehrere Ein- und Mehrfamilienhäuser. Laut Giebler leben dort mittlerweile etwa 50 Menschen mit Hauptwohnsitz. Der Bürgermeister schätzt, dass dort einmal 160 „Wohneinheiten“ stehen könnten. Nur: In Ufernähe sei nie dauerhaftes Wohnen geplant gewesen.

Die Schlossterrassen sind Teil jenes 1500 Hektar großen Pakets an See- und Uferflächen, die vor zehn Jahren für gerade einmal 2,9 Millionen Euro verkauft wurden. Der schon damals extrem niedrige Preis war an die touristische Entwicklung der Goitzsche geknüpft worden. Zulässig wären Ferienwohnungen, Ferienhäuser und Freizeitangebote, aber keine Wohnhäuser mit exklusivem Zugang zum See.

Wie die Gemeinde sich den Strukturwandel vorstellt, macht der gültige Bebauungsplan deutlich: 160 Ferienunterkünfte, ein Café, ein Hafen sowie ein Hotel mit 80 Betten. Wie lukrativ die Wohnlage inzwischen ist, sei an der Entwicklung der Bodenpreise abzulesen, sagt Giebler. Aktuell liegen diese etwa bei 180 Euro pro Quadratmeter. Vor zehn Jahren lag der Wert für vergleichbare bebaubare Grundstücke bei etwa 30 Euro pro Quadratmeter. Die aufwendige, mit großen Summen an öffentlichen Geldern sanierte Bergbaufolgelandschaft sollte für die Allgemeinheit aus kommunaler Hand bewirtschaftet und für alle jederzeit zugänglich gehalten werden, sagt er. Gieblers Kurs scheint bei den Bürgern anzukommen. Bei der zurückliegenden Kommunalwahl holte er 72,7 Prozent der Stimmen und verwies seinen AfD-Kontrahenten klar in die Schranken.

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