Von der Generation Z lernen – So reagieren Sie auf Dauerdruck im Job

Druck bei der Arbeit kann beflügeln, aber im hohen Maß auch lähmen – und im schlimmsten Fall krank machen. WELT erklärt, wann Stress im Arbeitsalltag zu viel ist, warum Betroffene die Fehler nicht nur bei sich suchen sollten und was sie von der jungen Generation Z lernen können.

M
it geröteten Augen, nassen Wangen und schlaffen Schultern sitzt Christin K. in ihrer Küche mit ihren Freunden. „Das bin nicht ich”, sagt sie. „Ich will das nicht.“ Mit „das“ meint sie bis in die Nacht hinein zu arbeiten. Seit einem knappen Jahr ist die 27-Jährige Trainee in der Geschäftsführung eines Krankenhauses am Starnberger See.

Strenge Deadlines und die Verantwortung für immense Summen stressen sie, also Aufgaben, für die sie offiziell eigentlich nicht zuständig ist, aber übernehmen muss. Dazu kommen Arbeitstage von zehn Stunden und mehr. Und nun muss ihr Chef auch noch operiert werden.

Dabei wollte Christin eigentlich in ein paar Wochen in Urlaub fahren und zum ersten Mal seit ihrem Jobbeginn währenddessen nicht aufs Handy blicken. „Dann schau, dass bis dahin alles fertig ist“, habe ihr Chef gesagt, mit dem sie sich eigentlich gut verstehe.

Früher sei sie keine Stubenhockerin gewesen. Sie sei weggegangen, habe Sport gemacht und Freunde getroffen. Dafür habe sie seit Monaten keine Kraft mehr. „Im Büro habe ich nicht einmal Zeit für einen Kaffee. Und mein Privatleben besteht darin, dass mein Freund abends vorbeikommt. Er kocht, ich arbeite.“ Danach legten sie sich zusammen mit ihrem Arbeitslaptop ins Bett, den sie erst gegen Mitternacht zuklappe.

Für den Arbeitspsychologen Andreas Müller von der Universität Duisburg-Essen ist das ein klares Warnzeichen für krankmachenden Stress: „Wenn man nach der Arbeit schlecht abschalten und sich nicht erholen kann und man sich dauerhaft erschöpft fühlt, körperlich wie emotional, sind das Signale, die man nicht ignorieren darf“, sagt Müller.

Stressig geht es im Job oft zu. Unter Druck entstehen Diamanten, heißt es doch. Aber die Forschung zeigt, dass zu viel Druck Menschen zermartert. „Es gibt positiven Stress und negativen“, erklärt Elke Ahlers, die sich für die Hans-Böckler-Stiftung mit Arbeitsbedingungen beschäftigt.

Etwas Leistungsdruck motiviert, lässt uns wachsen, fördert die Konzentration und das Gefühl, gebraucht zu werden. „Doch um diesen positiven Effekt nicht zu gefährden, müssen auch wieder Phasen kommen, in denen Entspannung möglich ist, der Druck abfällt“, so die Expertin.

Besonders die Digitalisierung stresst viele Deutsche

Und das passiert immer seltener: In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl psychisch bedingter Krankschreibungen fast verdoppelt. Bei der Krankenkasse Pronova BKK haben die Fälle allein 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent zugenommen. Das Stressempfinden und die Ursachen sind zwar sehr individuell, sagt Ahlers.

Das Gefühl, das dadurch entstehe, ähnele sich aber: „Da ist der Gedanke: Ich schaffe das nicht mehr.“ Der Berg an Arbeit wirkt nicht zu bewältigen, der Job fühlt sich nach Kontrollverlust an, Betroffene fühlen sich hilflos und kein Ende ist in Sicht.

Vor allem im Gesundheitswesen, im öffentlichen Dienst und in der Bildung sind die Fehlzeiten hoch. Grund ist die hohe emotionale Belastung in den Branchen: „Überall, wo Kontakt mit Menschen Kern der Tätigkeit ist, wird die Arbeit weniger kontrollierbar und kann konfliktlastiger sein“, sagt Müller, „und heute arbeiten viel mehr Menschen als früher in solchen Dienstleistungsberufen“.

Dazu komme die Digitalisierung, die einerseits Abläufe erleichtere und Arbeitstage flexibler gemacht hätte, aber auch für Arbeitsverdichtung und ständige Erreichbarkeit gesorgt hätte: „Statt mit ein paar Briefen starten Beschäftigte heute mit zig Mails in den Arbeitstag. Der Feierabend befreit sie davon nicht, denn sie sind auch abends noch erreichbar und im ständigen Stand-by-Modus.“

So gab in einer Studie des deutschen Ablegers der Schweizer Lebensversicherers Swiss Life mehr als die Hälfte der Deutschen 2023 an, im Job gestresst zu sein. Dabei fühlten sich 31 Prozent dauerhaft müde und erschöpft.

Die Gen Z ist besser darin, Grenzen zu setzen

Mehr als ein Drittel der Deutschen fühlt sich besonders von Überstunden und Deadlines gestresst. Auch ständige Erreichbarkeit und eine schlechte Work-Life-Balance werden häufig bemängelt. Für den Arbeitspsychologen Müller macht vor allem dieser Mix Arbeit gefährlich.

Mitarbeitende von Lieferdiensten oder Spediteuren seien da das beste Beispiel: „Sie stehen unter immensem Zeitdruck, machen kaum Pause und sind externen Faktoren und digitalen Systemen ausgesetzt, die ihre Arbeit managen und kaum beeinflussbar sind.“

Wenn dann Körper und Geist keine Erholung bekommen, steige das Level an Stresshormonen im Körper, erklärt der Arbeitspsychologe. Die Folgen: Der Blutdruck erhöht sich, Herzrhythmusstörungen treten auf, das Immunsystem schwächelt. Dazu können Kopfschmerzen, Reizbarkeit, Tinnitus, Müdigkeit oder Magenprobleme kommen.

Einige der Symptome kennt Christin K. Wie sie stehen besonders viele 18- bis 29-Jährigen unter Druck. „Generation Snowflake“, also zerbrechlich und empfindlich wie eine Schneeflocke, werden sie deshalb gern genannt. Zu Unrecht, findet Patrizia Thamm, Resilienz-Trainerin und Gesundheitsreferentin der Pronova BKK: „Der heutigen Generation gelingt es besser, Grenzen zu erkennen und zu setzen. Sie fordert für ihren Einsatz bestimmte Bedingungen.“

Bei den ehrgeizigen Älteren hätten die Jüngeren beobachten können, was es bedeutet, sich dem Job unterzuordnen. Dazu hat die Pandemie ihre Ansprüche an Arbeit geprägt: Die 18- bis 29-Jährigen achteten auf ihre Bedürfnisse und mentale Gesundheit, forderten dafür eine gute Work-Life-Balance und Flexibilität.

Es sei üblicher gewesen, ungesunde Arbeitsbedingungen hinzunehmen und Entscheidungen und Prozesse weniger zu hinterfragen, sagt Thamm. „Ein Burn-Out war sicherlich nicht erstrebenswert, gehörte im Notfall aber dazu.“

Zu erkennen, wann es genug ist, ist für Arbeitsforscherin Ahlers eine der wichtigsten Kompetenzen, um Arbeit mental gesünder zu gestalten. „Aktiv Grenzen setzen, etwa, nach 18 Uhr nicht mehr erreichbar zu sein, bedeutet nicht, dass man überfordert ist. Es ist eine gesunde Lebenseinstellung, zeugt von Selbstbewusstsein und ist eigentlich nichts anderes als eine vernünftige und nützliche Absprache“, sagt Ahlers.

Außerdem gibt es Resilienztrainings und Seminare für strukturiertes Arbeiten. Arbeitspsychologe Müller empfiehlt, sich mit krankmachenden Glaubenssätzen zu beschäftigen: „Gedanken wie ‚Ich bin nicht gut genug’ oder ‚Ich darf mir keinen Fehler erlauben’ verstärken das Stresserleben.“

Aber Resilienz sei nur ein Faktor, so Müller: „Wer den Fehler nur bei sich sucht, begeht bereits den größten Fehler. Das Problem sollte nicht individualisiert und den Mitarbeitenden selbst aufgedrückt werden”, kritisiert er. Das Problem: „Viel zu selten werden die Arbeitsbedingungen überprüft – und dafür ist eigentlich der Arbeitgeber gesetzlich verantwortlich.“

Nur jeder vierte Betrieb kümmert sich um die mentale Gesundheit

Zwar seien Maßnahmen zur mentalen Gesundheit im Arbeitsschutzgesetz festgehalten. „Systematisch gemacht wird das aber schätzungsweise nur bei einem Viertel der Betriebe.“

Die Arbeitsbedingungen seien der größte Stressor und damit das, wo der größte Handlungsbedarf herrscht: „Viele wollen sich verbessern, denken, es läge an ihnen“, sagt Ahlers. Wer die Stressursache sucht, merkt aber oft, dass es in Wahrheit die streikende Technik, die fehlende Wertschätzung, der Führungsstil, das Arbeitsumfeld oder das geforderte Multitasking sind.

Es helfe, herauszufinden, ob die Kollegen auch unter Druck stünden, so die Arbeitspsychologin. Herrsche Klarheit, sollten Betroffene mit dem oder der Vorgesetzten darüber sprechen oder sich an den Betriebsrat wenden – und dabei nicht emotional werden: „Nicht sagen, dass alles zu viel ist, dass es nicht zu schaffen ist”, rät Ahlers.

Stattdessen empfiehlt sie zwei Varianten: Entweder sachlich fragen, was erwartet wird, welche Aufgaben wie erfüllt werden müssen. So könnten die eigenen Ansprüche mit denen des Chefs abgeglichen werden. „Oft gibt es eine Diskrepanz, wie Arbeit verstanden und eingeschätzt wird.“ Viele Mitarbeiter hätten einen hohen Anspruch an ihre eigene Arbeitsleistung, die sie erbringen.

„Wenn die verfügbare Zeit nicht reicht, kommt es zu Frustration und Überforderung. Im Gespräch stellen viele fest, dass sie sich den Druck selbst gemacht haben, dass die eigenen Ansprüche höher sind als die anderer.“ Vor allem bei Perfektionisten und unsicheren Menschen sei das oft der Fall.

Die zweite Variante: „Sagen, dass die Aufgaben zu schaffen und interessant sind, Spaß machen. Aber dafür mehr Ressourcen nötig sind. Um Arbeitsüberlastung zu bewältigen, kommt es nicht darauf an, die Anforderungen zu senken, sondern auch mit Vorgesetzten und dem Team für eine Vertrauenskultur zu sorgen“, sagt Ahlers.

Das geschehe nicht von heute auf morgen. Es sei ein Prozess: „Es geht nicht darum, dass die Arbeit nach einer Woche besser ist, sondern ob der Wille da ist, sie besser zu gestalten“, sagt sie. „Wer dabei das Gefühl hat, auf taube Ohren zu stoßen, sollte über eine Kündigung nachdenken.“

Eigentlich aber sollte den Unternehmen Druckabbau am Herzen liegen. Denn Studien zeigen auch: Gestresste Mitarbeiter fehlen nicht nur häufiger, sondern machen auch mehr Fehler.

Sharing is caring

Facebook
Twitter
LinkedIn
WhatsApp
Telegram
Pinterest
Email